EVFTA: Kampfansage an China?
Ratifizierung des EU-Vietnam Freihandelsabkommens (EVFTA) – Praktische Implikationen für deutsche Unternehmen
Eine Vietnamesin. Ein Deutscher. Eine Meinung zum ratifizierten EVFTA.
von Do Thanh Ha und Lukas Lindemann
Die Ratifizierung des EVFTA
Es ist ein historischer Schritt in der Handelsbeziehung zwischen der EU und Vietnam: am 12. Februar 2020 ratifizierte das Europäische Parlament das EU-Vietnam Freihandelsabkommen (auch „EVFTA“) mit 401 Ja-Stimmen, 192 Nein-Stimmen und 40 Enthaltungen. Am selben Tag wurde auch das Investitionsschutzabkommen („EVIPA“) zwischen der EU und Vietnam verabschiedet. Abkommen wurden bereits am 30. Juni 2019 in Hanoi offiziell unterzeichnet.
Industrie- und Handelsminister Tran Tuan Anh beschrieb am 12. Februar das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Vietnam als einen Hebel für Wachstum, der die Möglichkeit mit sich bringt, stärker in einen Markt mit einem Bruttoinlandsprodukt von 18 Bio. US$ einzutreten.
Kernaspekte des EVFTA sind der Abbau von Zollschranken und eine Erleichterung der europäisch-vietnamesischen Handelsbeziehungen. So sollen nach dem offiziellen Inkrafttreten des Freihandelsabkommens unverzüglich ca. 65% der EU-Exporte nach Vietnam sowie ca. 70% der EU-Importe aus Vietnam von der Zollpflicht befreit werden. Die verbleibenden Zollverpflichtungen sollen perspektivisch über einen „Fahrplan“ von 10 Jahren (99% Zollbefreiung) bzw. 15 Jahren (99,8% Zollbefreiung) abgeschafft werden, mit der Ausnahme von Rohöl und Kohle.
Wann das EVFTA offiziell in Kraft treten wird, ist derzeit noch unklar. Sofern eine Vorlage des EVFTA auf der vietnamesischen Nationalversammlung im Mai stattfindet, so könnte das EVFTA bereits im Juli diesen Jahres in Kraft treten (und unmittelbar 65% bzw. 70% der Zolltarifpositionen eliminieren). Eine vorläufige Übersicht der vom EVFTA betroffenen Produktkategorien findet sich am Ende dieses Artikels. *
Jüngste Entwicklungen der vietnamesischen Wirtschaft
Die Ratifizierung des EVFTA geschieht in einer Zeit, in der sich die vietnamesische Wirtschaft prächtig entwickelt: mit BIP-Wachstumsraten von > 7% in den Jahren 2018 und 2019 zählt Vietnam zu den stärksten Wachstumsmotoren in Südostasien. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC kam in einem Report aus dem Jahr 2017 sogar zu dem Ergebnis, dass Vietnam die de facto am schnellsten wachsende (und vielversprechendste) Volkswirtschaft der Welt sei. Dies ist besonders beeindruckend vor dem Hintergrund eines anhaltenden Handelsstreits zwischen den USA und China, welcher die globale Lieferkette tangiert und viele Nationen zu einer Korrektur ihrer erwarteten Wirtschaftsentwicklung gezwungen hat.
Seit 1995 erlebte Vietnam ein durchschnittliches BIP-Wachstum von 6,7%, mit einem Bruttoinlandsprodukt von 20,7 Mrd. US$ im Jahr 1995 hin zu rund 261 Mrd. US$ im Jahr 2019. Die sozioökonomischen Auswirkungen einer derartigen Wachstumsrally sind enorm: kalkulatorisch konnte die vietnamesische Bevölkerung ihre Lebensstandards innerhalb eines 10,5-jährigen Turnus verdoppeln. Die Armutsquote – im Jahr 1992 noch besorgniserregende 49% betragend – wurde zuletzt auf nur 3% beziffert. In absoluten Zahlen entspricht dies einer Befreiung von rund 45 Millionen Menschen aus der Armut.
Im „Global Competitiveness Index 4.0 2019“ rangiert Vietnam auf Rang 67 von 141 Ländern, ein signifikanter Fortschritt in der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Vorjahresplatzierung (Rang 77). Im „Ease of Doing Business 2020“ nimmt Vietnam den 70. Platz ein, und zeigt damit gegenüber den Vorjahren ein weitestgehend stabiles Geschäftsumfeld. Auf dieser Grundlage gelingt es Vietnam, fortlaufend ausländische Direktinvestitionen für sich zu gewinnen, mit einer steigenden Anzahl von Greenfield-Projekten und FDI-Gesamtbeständen von nunmehr 145 Mrd. US$.
Das EVFTA dürfte die dargestellten Entwicklungen und Indikatoren weiter beflügeln.
Bedeutung des Handels zwischen Vietnam und Deutschland
Doch was bedeutet die Ratifizierung (und das womöglich baldige Inkrafttreten) des EVFTA konkret für Deutschland? Mit einem Außenhandelsvolumen von ca. 10,5 Mrd. US$ ist Deutschland derzeit der größte EU-Handelspartner Vietnams. Auch aus deutscher Sicht genießt Vietnam eine zunehmend wichtige Handelsposition: während DE-Importe aus Vietnam den Rang 25 unter allen 239 Handelspartnern einnehmen, rangiert Vietnam hinsichtlich der DE-Exporte nunmehr auf Rang 44 von 239 Handelspartnern. Es ergibt sich ein deutscher Importüberschuss i. H. v. 5,7 Mrd. US$.
Zu den wichtigsten vietnamesischen Einfuhrgütern nach Deutschland zählten im Jahr 2018:
- Elektronik (38%);
- Schuhe (16,6%);
- Textilien/Bekleidung (13,7%);
- Nahrungsmittel (9,6%);
- Handtaschen und Reiseartikel (2,7%);
- Metallwaren (2,2%);
- Elektrotechnik (2,1%);
- Maschinen (1,8%);
- Möbel und -teile (1,8%);
- KFZ und Automobilteile (1,5%); und
- Sonstige (10%).
Im Gegenzug zählten zu den wichtigsten vietnamesischen Importen aus Deutschland Maschinen, Ausrüstungen, Werkzeuge und Ersatzteile (rund 1,7 Mrd. US$ bzw. 41%), gefolgt von chemischen Erzeugnissen (rund 588 Mio. US$ bzw. 13%) und Elektrotechnik (rund 287 Mio. US$ bzw. 7%).
Praktische Implikationen und Vorteile des EVFTA für deutsche Unternehmen
Grundsätzlich impliziert das EVFTA eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Marktplätzen EU und Vietnam. Ausländische Produkte, die im Zuge der Abschaffung der Einfuhrzölle nunmehr einen Kostenvorteil genießen, dürften eine ernstzunehmende Konkurrenz für heimische Produkte darstellen.
VinFast – eine Einheit des größten vietnamesischen Konglomerats Vingroup JSC VIC.HM – ist der erste vollwertige inländische Autohersteller des Landes. Innerhalb der nächsten fünf Jahre zielt VinFast auf eine jährliche Produktion von etwa 250.000 Autos ab, was 92 Prozent aller im letzten Jahr in Vietnam verkauften Autos entspricht. Die Befreiung von Zollschranken dürfte dieser Planung zugutekommen, und auch neue Konkurrenz auf dem deutschen Automobilmarkt schaffen.
Diejenigen deutschen Unternehmen, die regelmäßig Handel mit Vietnam betreiben, können sich über eine Abfrage der relevanten Zolltarifnummern („HS Codes“) in den relevanten Unterlagen der Europäischen Handelskommissionen vergewissern, ob und wann ihre Produkte von der Zollbefreiung profitieren können. Dabei unterscheidet die Europäische Handelskommission zwischen A-Produkten (unverzügliche Zollbefreiung) und B-Produkten (von B3 bis B15; Zollbefreiung innerhalb von drei bis 15 Jahren).
Die Research- und Beratungsplattform Germany Trade & Invest („GTAI“) stellt in einem Report heraus, dass das EVFTA mit einem besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in Vietnam einhergehe. Deutsche Unternehmen könnten nach dem offiziellen Inkrafttreten des Abkommens voraussichtlich leichter an öffentlichen Projekten und PPP-Projekten teilnehmen, um so ihren Fußabdruck in Vietnam zu hinterlassen.
Dank des zeitgleich ratifizierten Investitionsabkommens EVIPA, in welchem sich die EU und Vietnam beidseitig zu einer Erleichterung des Investitionsumfeld für Unternehmen beider Seiten entschlossen haben (u.a. auch Stärkung des Rechtsrahmen, insbesondere geistiges Eigentum), dürfte es deutschen Unternehmen leichter fallen, in zuvor stark eingeschränkte Branchen zu investieren. So wurde z. B. die max. ausländische Anteilseignung an kommerziellen Banken von 30% auf 49% erhöht.
Darüber hinaus können deutsche Unternehmen von den nicht-wirtschaftlichen Bestimmungen des EVFTA profitieren: das Abkommen soll nämlich auch vielfach kritisierte Umwelt- und Menschrechtstandards in Vietnam durchsetzen, und etwa Zwangsarbeit verbieten. Zudem soll es erlaubt sein, vom kommunistischen Gewerkschaftsbund unabhängige Arbeitervertretungen zu bilden. Das Freihandelsabkommen möchte westliche (demokratische) Wertevorstellungen in Vietnam fördern, und so die Attraktivität für deutsche (europäische) Investoren erhöhen.
Ausblick
Die zuvor dargestellten Entwicklungen Vietnams unterstreichen das Potenzial und die steigende Bedeutung des Landes innerhalb Südostasiens, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Spannungen des „großen Bruders“ China (u.a. anhaltender Handelsstreit mit den USA, landesweit steigende Lohnkosten, politische Unruhen in Hongkong und Ausbruch des Coronavirus „COVID-19“).
Das Freihandelsabkommen stellt mit seiner Liberalisierung der Zölle und der Vertiefung der Handels- und Geschäftsbeziehungen eine große Chance für deutsche Unternehmen dar. So wird der stärkere Zugang zu einem aufstrebenden Markt mit fast 100 Mio. Menschen ermöglicht, darunter rund 55 Mio. Arbeitnehmer. Zudem öffnet das Abkommen die Möglichkeit zu Partnerschaft, Dialog und Zusammenarbeit und schafft stärkere Beziehungen zur südostasiatischen Region.
Damit scheint das EVFTA-Abkommen mehr als nur ein Handelsvertrag zu sein. Es ist auch eine Antwort im „Kampf der Systeme“, welcher sich derzeit in den internationalen Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China offenbart. Statt protektionistischer Machtkämpfe und stummer Duldung staatsfinanzierter Großunternehmen setzt die EU weiter auf das Rezept „Wandel durch Handel“ – angereichert mit sozialen und ökologischen Anforderungen, um langfristige und wertschöpfende Partnerschaften zu fördern.
* Übersicht über den Abbau von Zollpositionen im Zuge des EVFTA:
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